Die Ruhigstellung von „Krawall-Heimindern“ mittles stereotaktischen OPs – war das der letzte Schritt oder ein anstrebenswertes, medizinisches Novum?

Bis Mitte der 70er Jahre gingen Psychiater davon aus, dass verhaltensauffällige Kinder und Jugendliche in Erziehungsheimen und kriminelle Erwachsene einen Hirnschaden hätten. Sie untermauerten ihre These mit dem Röntgen der Gehirnkammern (Pneumoenzephalographie, damals im Fachjargon auch als Enzephalographie oder PEG genannt, Heimkinder sprachen von der Enze). Bei besonders schweren Fällen von herausfordernden Charaktereigenschaften, wie Aggressionen, Zerstörungswut, Selbstverletzungen u.ä. wurde den Erziehungsverantwortlichen vorgeschlagen, mithilfe eines hirnoperativen – eines stereotaktischen – Eingriffes helfen zu können.

„Um gewalttätige Verhaltensweisen bei jugendlichen und erwachsenen Epileptikern, schweren Hirntraumatikern und bei temporaler Epilepsie beziehungsweise katatoner Schizophrenie zu bessern, sind Eingriffe in die limbischen Systeme, besonders in den Mandelkernen, gebräuchlich.“ 

Quelle: Rolf Hassler, Deutsches Ärzteblatt, 1976

Zweitens seien {…}, »weltanschauliche Gesichtspunkte« aus dem Spiel zu lassen, wenn es um die »Therapie schwerster schizophrener Endzustände« gehe, bei denen „Persönlichkeit und Gemütsleben« zweifellos zerstört seien. Bei solchen Patienten und Patientinnen gebe es keinen »Rest des gesunden Menschseins« mehr, der durch einen psychochirurgischen Eingriff »vernichtet« werden könnte. Die Befürworter der Psychochirurgie argumentierten also, dass man im deutschsprachigen Raum Lobotomien nur bei schwer kranken, unheilbaren Patienten durchführe, bei denen alle anderen Behandlungsmaßnahmen keinen Erfolg gezeitigt hätten.“
Quelle: Meier, M (2009). Hirneingriffe historisieren: ethische Standpunkte zur Lobotomie in den 1940er und 1950er Jahren.
In: Müller, O; Clausen, J; Maio, G. Das technisierte Gehirn. Paderborn, 65-86.